Geleitwort

Geleitwort von Christian Abegglen über die Meilensteine eines Integrierten Managements

"Die Buchreihe ist kein Ratgeber für Erste Hilfe in dringenden Fällen, sondern ein Wissensfundus für nachhaltiges, ganzheitliches Wirken, ein Angebot zur »éducation permanente« in integriertem Management, das in normalen Zeiten sicher und bei Turbulenzen dank Vorbereitung erst recht optimales Handeln ermöglicht. Als Gestaltungs- und Denkrahmen soll es Führungskräften ermöglichen, dank besserer Kenntnis der Gesamtzusammenhänge und dem Wissen um ganzheitliche Unternehmenssteuerung, relevante Probleme rechtzeitig zu antizipieren und adäquate, nachhaltige Lösungen zu finden."

Christian Abegglen, Herausgeber

Wir leben an der Schwelle des 3. Jahrtausends in der aufregenden Zeit eines forcierten Wandels und durchlaufen eine der grössten Transformationsphasen der letzten Jahrhunderte. Bekannte Stichworte hierzu sind gegenwärtig u.a. ungebremstes Bevölkerungswachstum, damit einhergehend enormer Ressourcen- und Energieverbrauch, Chinas Ausdehnungsbemühungen, “Make America great again” , Deglobalisierungen, die unverdaute Auswirkungen der West-Ost-Öffnung und eines schwachen EU-gesteuerten Europas, der kometenhafte Aufstieg vieler Länder Asiens sowie – nach wie vor – die Nachwirkungen des New Economy-Booms, Finanzkrise und aktuell Corona. Der diese Entwicklungen flankierende und weltweite Vernetzungen bisher unbekannten Ausmasses ermöglichende Informationstechnologieschub, der wesentlich den Übergang in eine globalisierte Wissensgesellschaft vorantreibt sowie weitere bahnbrechende Innovationen sorgen für globalen Wettbewerb in einem noch nie gesehenen Umfang mit dem Resultat schmerzhafter Konsequenzen bei mangelhafter Anpassung.

Diese Erkenntnisse sind allerdings für Mitteleuropa als tragende Stütze der EU alles andere als neu, ungewohnt ist vielmehr, dass mittlerweilen die Auswirkungen für viele in negativer Weise spürbar sind und sich nicht mehr durch ein Mehr an Worthülsen beschönigen lassen. Insbesondere die vermeintliche Heilsbringerin EU vermochte aller gebetsmühlenartig proklamierter Beteuerungen und Versprechungen zum Trotz kein strukturelle Schwächen überdeckendes Wachstum herbeizuzaubern.

Es wird offensichtlich, dass unser Glaube an ein „weiter wie bisher“ basierend auf dem einstigen simplen Wachstums-Paradigma unseres Nachkriegs-Europas derzeit in seinen Grundfesten erschüttert wird. Angesichts des hierzulande für die Mehrheit vorherrschenden Wohlstands fällt ein drohender Abstieg von hohem Niveau natürlich schwer, vor allem, wenn einem lange die Rolle eines weltweit Anerkennung findenden Spitzenreiters in der internationalen Wirtschaftsentwicklung zukam. Eine gefährliche Mischung aus Verunsicherung, Ratlosigkeit, wenn nicht gar Orientierungslosigkeit ist angesichts der tiefgreifenden Probleme die zu beobachtende Folge auf gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Ebene. Symptomlösungsorientierte Aktionitis dominiert, statt sichtbarer Wille zur Entwicklung und langfristigen Umsetzung nachhaltiger proaktiver Lösungspakete.

Die Aufgabe sich einer virulent gewordenen Anpassungsnotwendigkeit nachdrücklich zu stellen und sich in einer globalisierten Welt neu zu positionieren, trifft naturgemäss zuallererst die Unternehmenslandschaft, welche vor der Herausforderung steht, sich neuen, andersartigen äusseren Bedingungen durch eine Änderung ihrer inneren Konstitution anzupassen.

Die dadurch von vielen Unternehmen in einer immer rascheren Folge vorgenommenen Kurskorrekturen verursachen wiederum einen sich selbst beschleunigenden Wandel mit dem Resultat noch grösserer Turbulenzen, deren Ausgang aufgrund der ihnen innewohnenden Dynamik niemand verlässlich vorherzusagen vermag. Daraus resultiert eine höchst anspruchsvolle Aufgabenpalette, die viele miteinander interagierende Einflussfaktoren zu berücksichtigen hat und deren Vernetzung sich ständig ändert. Angesprochen ist damit das viel zitierte Phänomen der Komplexität der Unternehmensrealität und die Frage ihrer Bewältigung durch die Funktion des Managements.

In Wissenschaft und Praxis gibt es viele Definitionen für Management. Sucht man jedoch jenseits von Patentrezepten und Modeerscheinungen nach dem eigentlichen Kern, so ist darunter letztlich nichts anderes als der erfolgreiche Umgang mit eben dieser Komplexität zu verstehen, d.h. Unternehmungen in einem sich rapide wandelnden Umfeld normativ, strategisch und operativ mit dem Ziel einer langfristigen (Über-)lebensfähigkeit zu navigieren. Der sich daraus ergebende hohe Führungsanspruch lässt erahnen, dass die Bewältigung dieser Aufgabe nicht nur eine Veränderung der managementrelevanten Orientierungs- und Steuerungsgrössen bedingt, sondern vor allem auch einer anderen Denkweise und Anschauung von und über Management bedarf. Offenkundig wird es nicht mehr ausreichen, sich ausschliesslich auf kurzfristig sichtbare, die Vergangenheit wiedergebende finanzielle Grössen – wie noch zu Zeiten Kosiols üblich – oder sich an isolierten Informationen auszurichten, deren Schein-Genauigkeit auf der Reduktion und Vernachlässigung zahlreicher qualitativer Einflussfaktoren beruht.

Entsprechend stellt sich vor dem Hintergrund dieser Situation die Frage, ob unser theoretisches und in der Praxis angewandtes Managementverständnis tauglich ist, mit sich ständig verändernden Bedingungen erfolgreich umzugehen. 

Tatsächlich ist in einer breiten Öffentlichkeit aufgrund vieler negativ in die Schlagzeilen gekommener Unternehmen zum Teil der Eindruck entstanden, dass Wirtschaft wie auch Politik nicht mehr in der Lage sind, die skizzierten Herausforderungen mit den praktizierten Herangehensweisen von heute erfolgreich zu bewältigen. Das Management scheint vielfach qualitativ und quantitativ überfordert, die hohe Komplexität des Unternehmensgeschehens zu meistern. Ein Gefühl von Kontrollverlust breitet sich aus und lässt in der Folge den Ruf nach einem Umdenken und neuen Komplexitätsbewältigungspotenzialen lauter werden.

In der wissenschaftlichen Literatur ist allerdings nicht nur die Notwendigkeit eines Umdenkens schon längst erkannt worden, sondern es gibt mindesten seit den 60er Jahren hinreichend abgesichertes Wissen über die Steuerung von Unternehmungen in komplexen Situationen. Es zeigt sich jedoch, dass dieses Wissen in der Praxis bislang kaum umgesetzt wurde. Vielmehr scheint zu gelten: Je stärker das scheinbar Sichere schwankt, umso eher wird das Falsche getan. Insbesondere die letzten Jahre zeigen eher einen eklatanten Rückschritt im Verständnis dessen, was unseren Umgang mit Komplexität anbelangen muss.

Vor allem während der Boomjahre der New Economy nach 1998 und nach der Finanzkrise 2008 hat bei vielen Unternehmungen wieder vermehrt der Glaube Einzug gehalten, Problemerkennung und Komplexitätsbewältigung nach mechanistischen, rein rationalen Prinzipien betreiben zu können, also mit auf Paradigmen beruhenden Denkweisen, die in der Literatur zu recht schon längst als überholt bezeichnet werden. Konnte Unbequemes jeweils nicht länger verdrängt werden, folgte oftmals ein Agieren mit Blick in den Rückspiegel ergänzt durch emotionale Aspekte meist völlig ausblendende Ansätze wie Problem-Outsourcing an externe Berater, Aufgreifen von „Quick-Fixes, Online-Zugriff auf mit einer simplifizierenden Ampellogik versehener Dos and Dont’s oder eine unreflektierte Umsetzung von Case Study-Lösungen dominanter US-Managementschmieden.

Auch die auf den New Economy Boom folgende Ernüchterung brachte keineswegs ein eigentlich zu erwartendes „Einschalten eines fruchtbaren Vorwärtsganges“ (Bleicher), vielmehr war ein noch deutlicherer Denk-Rückschritt zu beobachten, indem nun die Management Fads des Aufschwungs durch Wunder versprechende Pillen des Krisenmanagements abgelöst wurden. Die häufig daraus resultierenden überstürzten Kostenmanagement-Aktivitäten und hektisch erlassene Corporate Governance-Regeln resultierten meist in Bekämpfung inhärenter Mängel, die eher Symptom statt Ursache grundlegender Versäumnisse waren.

In vielen dieser oben bewusst polarisierend beschriebenen Ansätze steckt unbestrittenermassen zwar ein guter Kern. Dieser wird jedoch durch eine schon beinahe sektiererische Negation der Zusammenhänge von Problemvernetzung, Berücksichtigung dynamischer Aspekte und Ganzheitlichkeit oder kurz gefasst einer integrierten Betrachtungsnotwendigkeit zumeist eher ins Gegenteil verkehrt.

Es scheinen – wie von vielen Systemtheoretikern schon oft konstatiert – tatsächlich immer wieder dieselben Fehler im Umgang mit Komplexität und damit mit der Bewältigung der eigenen Zukunft begangen zu werden. In der Kluft zwischen Theorie und Praxis wirken offenbar allzumenschliches, reflexartiges Reagieren, kurzfristige Orientierung, mangelhafte Zielerkennung, subjektiv beeinflusste Gewichtungen, Nichterkennen von Nebenwirkungen, Unterschätzen des Faktors Zeit, Tendenz zu Übersteuerung sowie Neigung zu autoritärem Verhalten (Dörner).

Eine geeignete Herangehensweise und Denkhaltung zum Umgang mit Komplexität und den damit verbundenen Herausforderungen liegen im ganzheitlichen integrierten Management bzw. der Systemtheorie, auf deren Grundlagen in den 60er Jahren unter der Ägide des 1997 verstorbenen Professors Dr. Dres. h.c. Hans Ulrich und seinen Mitarbeitern das bekannte St. Galler Management Modell geschaffen wurde. Trägerin der konzeptionellen und inhaltlichen Entwicklung wie auch der späteren Weiterentwicklung des St. Galler Management-Ansatzes ist frühere Hochschule St. Gallen bzw. die heutige Universität St. Gallen (HSG).

In Fachkreisen gilt sie als eine der besten Ausbildungsstätten im europäischen Raum. Ihre in Führungskräfte-Umfragen immer wieder bestätigte Führungsrolle verdankt sie einerseits dem oben beschriebenen ganzheitlichen St. Galler Management-Modell, welches später unter Professor Dr. Dres. h.c. Knut Bleicher und seinen Mitarbeitern zum immer umfassenderen und mit vielen umsetzungsorientierten Erweiterungen versehenen St. Galler Konzept Integriertes Management weiterentwickelt wurde, andererseits der hohen Praxisnähe ihrer darauf basierenden Managementausbildung. Der Weitsicht von Herrn Professor Dr. Hans Ulrich ist es diesbezüglich auch zu verdanken, dass ein Grossteil der “Managementweiterbildung für erfahrene Führungskräfte” schon vor vielen Jahren aus der Universität St. Gallen ausgegliedert und teilweise privatisiert wurde. Seither haben es auf diesen Wurzeln basierend einige privatrechtlich organisierte Institutionen mit grossem Erfolg verstanden, den St. Galler Management-Ansatz in Form von Seminaren, Management-Programmen und Unternehmensberatungsleistungen international praxisgerecht aufzubereiten, umzusetzen und bekanntzumachen. St. Gallen ist nicht zuletzt auch aufgrund dieses wettbewerbsorientierten und damit qualitätsfördernden Umfeldes zu einem eigentlichen Management Mekka beziehungsweise – wie von Professor Ulrich vorausgesehen – zu einem Management Valley der Schweiz geworden.

Entsprechend gilt heute St. Gallen als das Zentrum moderner Management-Ausbildung in Europa und hat auf diesen Grundlagen sowie basierend auf diesbezüglichen Arbeiten zahlreicher anderer Vordenker (Ashby, Beer, Dörner, Forrester, von Foerster, Vester u.a.) umfassende konzeptionelle und inhaltliche Arbeit zum Umgang mit Komplexität geleistet.

Tröstlich also, dass die Welt nicht immer wieder neu erfunden werden muss, sondern Lösungen zum Umgang mit Komplexität schon längst vorhanden sind. Bedenklich aber, dass der Umgang mit diesem Gedankengut, wie er von zahlreichen systemtheoretischen Denkern seit den frühen 60er Jahren gefordert und ihn sich verschiedene Praktiker auch angeeignet haben, so schmächlich vernachlässigt wird. Dem entgegen zu wirken war zum einen die Idee zu dieser Buchreihe, zum anderen ist es Ausdruck der Gründung der St. Galler Gesellschaft für Integriertes Management (GIMSG). Nukleus beider Initiativen ist das immense Wissen von Knut Bleicher über Ansätze und Konzepte zur Komplexitätsbewältigung, das er im Verlaufe seiner beeindruckenden wissenschaftlichen Karriere in einer Vielzahl wegweisender Forschungsprojekte mit unterschiedlichen Kollegen erarbeitet und in der Praxis evaluiert hat.

Die Buchreihe «Meilensteine eines Integrierten Managements» in insgesamt 6 Bänden soll daher einen Betrag leisten, längst vorhandenes Wissen über die Notwendigkeit integrierter Herangehensweisen im Management einer breiteren Leserschaft in gesammelter und systematischer Form wieder zugänglich zu machen und dabei auch wichtige Pfeiler aufzuzeigen, welche letztlich zum Standardwerk „Konzept Integriertes Management“ geführt haben, das 2017 als Jubliäumsausgabe in der 9. Auflage erschienen ist. Die 9. aktualisierte Auflage (10.07.2017) führt den Leser jetzt mit dem St. Galler Wissensnavigator und dem Management HAUS von Christian Abegglen beim Nachschlagen, Querlesen und Umsetzen von der Theorie hin zur Praxis der integrierten Unternehmensentwicklung.Die 10. Auflage erscheint im Herbst 2020. 

Ziel dabei ist nicht nur der Versuch, die wichtigsten Schriften von Knut Bleicher darzustellen, sondern vor allem die Ermunterung für die Anwendung von Bewährtem in der Praxis. Die Buchreihe ist somit kein Ratgeber für Erste Hilfe in dringenden Fällen, sondern ein Wissensfundus für nachhaltiges, ganzheitliches Wirken, ein Angebot zur éducation permanente in Integriertem Management, das in normalen Zeiten sicher und bei Turbulenzen dank Vorbereitung erst recht optimales Handeln ermöglicht. Als Gestaltungs- und Denkrahmen soll es Führungskräften ermöglichen, dank besserer Kenntnis der Gesamtzusammenhänge und dem Wissen um ganzheitliche Unternehmungssteuerung die relevanten Probleme rechtzeitig zu antizipieren und adäquate Lösungen zu finden.

Knut Bleicher gebührt grosser Dank für seine Bereitschaft, aus seinen Archiven sehr umfangreiches Textmaterial zur Verfügung zu stellen, dieses mit dem Herausgeber zu sichten und jene Auswahl zu treffen, die hier nun vorliegt und perspektivenreich Bekanntes, Typisches, Relevantes enthält, durch überlegte Abfolge aus anderen Perspektiven immer wieder, Repetitionen, Wiederaufgreifen und Vertiefungen bietet, was für das Verstehen der komplizierten Materie sicherlich nicht von Nachteil ist.

Die Zusammenarbeit mit ihm, als  akademischer Lehrer, ist äusserst fruchtbar und freundschaftlich – und ich konnte, nach zwischenzeitlich mehr als 30 Jahren Management- und Berufserfahrung, noch nie von jemandem einen solchen Zugewinn an Fachwissen gepaart mit Erfahrungen aus der unternehmerischen Realität verbuchen. Er hat mir auch die Augen für die grossen Zusammenhänge unserer wirtschaftlichen Entwicklung und der ihr innewohnenden Pendelbewegungen der letzten 50 Jahre geöffnet. Dafür danke ich Knut Bleicher sehr.

Bewunderung gebührt Frau Sabeth Holland für die Gestaltung der Buchumschläge der einzelnen Bände. Sie liess sich von den Inhalten der Werke derart inspirieren, dass sie sich in ihren übergeordneten Motiven am Lebenszyklus der Natur anlehnte.

Befriedigend und zusätzlich motivierend war es, dass wenig Überzeugungsarbeit notwendig war um Sponsoren für die einzelnen Bände dieser Schriftreihe zu finden. Bedeutsamerweise sind diese alle in Unternehmungen zu finden, die sich durch eine jahrzehntelange, konsequente und erfolgreiche Politik im Sinne eines ganzheitlichen, Integrierten Managements auszeichnen.

Wenn die Buchreihe „Meilensteine eines Integrierten Managements“ einen theoriegeleiteten Beitrag zu leisten vermag, wie den Herausforderungen des Tagesgeschäfts bei gleichzeitiger Entwicklung von Zukunftspotentialen zur Sicherstellung der Lebensfähigkeit der Unternehmung zum Wohle aller begegnet werden kann, dann hat sie ihr Ziel erreicht.

Diesem Anspruch folgend ist das Werk kein leichter Stoff für Ungeduldige, aber ein profunder für zielstrebig Systematische.